Psychiatrie: Arbeitsbedingungen & Vorteile

Verfasst von Thorben

Thorben ist einer der Gründer:innen von Felix Medicus. Er verantwortet die Umsetzung aller technischer Anforderungen der Plattform und sorgt dafür, dass wir genügend Mediziner:innen für das Erreichen unserer Ziele gewinnen.

18.10.2021

Intro

Wir von Felix Medicus möchten den Arztberuf wieder zu einem Traumberuf machen. Aus diesem Grund informieren wir auch über die zahlreichen Karriere-Möglichkeiten, die du als Arzt/Ärztin hast. Psychiatrie ist ein Fach, das oft wenig naheliegend für junge Ärzt:innen ist. Es gibt einige Vorurteile, die wir gerne aufgreifen und mit der Realität vergleichen wollen.

Psychiatrie Facts (aus Deutschland)

Zahlen und Fakten

  • rund 12.000 Fachärzt:innen
  • Fachabteilungen
    • 407 für Psychiatrie
    • 262 für Psychosomatik
    • 147 für Kinder-/Jugendpsychiatrie
  • Bettenauslastung von ca. 92%

Der Weg zur Fachärzt:in

  • Assistenzärzt:innenzeit
    • mind. 12 Monate Neuro
    • mind. 24 Monate stationär
  • Psychotherapeutische Ausbildung kann nebenbei absolviert werden

Warum ist Psychiatrie so wichtig?

  • jedes Jahr sind etwa 27,8% der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen
  • Menschen mit psychischen Erkrankungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung

Häufigste Erkrankungen

  • 15% Angststörungen
  • 10% affektive Störungen
  • 6% Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum

Erfahrungen aus unserem Netzwerk

Daniel aus Augsburg

Wenn du wirklich Bock hast, Leben zu verändern und nicht nur eine “Schraube” der Gesundheit zu drehen, dann werde Psychiater:in oder Hausärzt:in.

Die Hausärzt:in ist eben nah an den Familien und hat lange mit Leuten zu tun und ist Teil von Geschichten, der/die Psychiater:in ist Teil von Lebensveränderung! Psychiater:innen werfen sich als Person mit ihrer Kompetenz und aber auch Menschlichkeit hinein in das Stationsbecken und leisten eine Veränderung – oft für ein ganzen Leben.

Psychiatrie zeigt Menschen wieder mit Emotionen umzugehen und Freude zu empfinden (Depression). Psychiatrie hilft Menschen Eindrücke zu verstehen und sie zu verarbeiten (Psychose/Schizophrenie).

Psychiatrie kann Menschen aus den teilw. Top10 der schwersten Erkrankungen mit der höchsten Einbuße an Lebensqualität herausziehen, begleiten und unterstützen.

Und Psychiatrie rettet Menschenleben! Die Letalität von Menschen mit psychischen Erkrankungen kann ziemlich hoch werden.

Matthias aus Langenfeld

Besonders ist die Psychiatrie meiner Ansicht nach durch die großen Unterschiede bzgl. der Behandlung unserer Patienten und die Vielfalt innerhalb des Faches. Z.B. erfordert ein gegen seinen Willen untergebrachter schizophrener Patient eine völlig andere Art von Zuwendung als ein depressiver Patient auf einer Psychotherapiestation oder ein Patient mit Alkoholabhängigkeit.

Ich habe mich auch deshalb für die Psychiatrie entschieden, da dieses Fach zumindest weitgehend noch die Möglichkeit bietet sich individuell unterschiedlich viel Zeit für die Patienten zu nehmen (dies würde ich als Hauptvorteil bezeichnen). Ich habe lange überlegt eine Facharztausbildung für Allgemeinmedizin zu beginnen mich dann aber aus dem o.g. Grund dagegen entschieden.

Ich denke, dass man in der Psychiatrie freier über die Zeit, die man sich für Patienten nimmt entscheiden kann als in anderen Fächern. Gerade durch die aktuelle Corona Pandemie nehmen psychische Erkrankungen weiter in ihrer Häufigkeit zu und ich denke, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Daher würde ich dazu raten, die Facharztausbildung für Psychiatrie zu beginnen. Die Jobaussichten sind auch denkbar gut, die Verhandlungsposition bzgl. unserer Arbeitsbedingungen werden besser.

Es ist hier auch gut möglich z.B. in Elternzeit zu gehen ohne danach Nachteile bzgl. der Karriere zu haben (Ich gehe selbst nächste Woche für 10,5 Monate in Elternzeit). Vorurteile gegenüber der Psychiatrie hatte ich eigentlich nicht, da ich über die Jahre im Studium immer wieder auch Kontakt zu anderen Assistenzärzten hier hatte.

Vorurteile vs. Realität

Im Folgenden haben wir typisch Vorurteile gegenüber des Fachgebiets aufgegriffen und mit unseren Expert:innen diskutiert. In diesem Teil bekommt ihr den Eindruck, inwieweit diese Vorurteile mit der Realität übereinstimmen.

Wenig evidenzbasierte Medizin

Daniel

Psychiatrie ist eines von sehr evidenzbasierten klinischen Fächer mit teilweise den effektivsten Medikamenten der Welt! Manche Antipsychotika haben eine NNT von 3 wobei Antihypertensiva teilweise eine NNT von 25 haben. Also die Angst man verändere Gehirne zum schlechten und tue Menschen was schlechtes, weil wir nicht viel wissen, stimmt nicht so richtig. Auch wenn die Ursachen der Erkrankungen immer eher unklar sind.

Sehr lange Anamnese

Dr. Pejcinovic

Die Anamnese-Erhebung in der Psychiatrie ist ein Prozess. Es kann passieren, abhängig von der Komplexität der Situation, dass man im Erstkontakt schon auch mal 30 Minuten zusammensitzt.

Aber Erst-Anamnese über 30 Minuten ist nicht die Regel.

Patient:innen werden oft übergriffig

Dr. Pejcinovic

Ich habe das Gefühl, dass die Gewaltbereitschaft bei medizinischen Berufen generell zugenommen hat. Die Psychiatrie hat hier durch den ordnungspolitische Auftrag eine besondere Rolle. Die Äußerung von Gewalt ist vielfach verbal. Natürlich kommt es zu Tätlichkeiten und Gewalterfahrungen – in den aller aller meisten Fällen im geringen Ausmaß. Das Gute ist aber, dass die Psychiatrie hier gut vorbereitet

Ich habe in meiner langjährigen Karriere bislang noch keine Übergriffe miterlebt.

Grundsätzlich ist aber zu sagen, dass psychisch Erkrankte gesamtgesellschaftlich im Durchschnitt nicht mehr Straftaten begehen als andere Menschen. Die psychiatrische Erkrankung an sich ist nicht per se als gefährlich einzuordnen! Das ist ganz wichtig!

Wenig “richtige” Arzttätigkeit

Daniel

Außerdem gibt es wenig so faszinierendes wie die ständige Suche nach: ist das jetzt somatisch und abklärungsbedürftig oder doch psychisch und wir müssen ärztlich nicht sofort intervenieren. Das ist zwar anstrengend aber man lernt dadurch viel über die Basics Innere und Basics Neuro. Und Neuro muss man ja sowieso noch 1 Jahr machen.

Erfahrungen einer Chefärztin

Dr. med. Astrid Rudel

Chefärztin, Fachärztin Neurologie, Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie
St. Antonius-Krankenhaus, Bottrop Kirchhellen
Elisabeth-Krankenhaus, Erle

Erster Berührungspunkt mit der Psychiatrie

Als Tochter einer Psychiaterin bin ich quasi auf dem Gelände einer großen psychiatrischen Landesklinik aufgewachsen. Schon als Grundschulkind habe ich nicht verstanden, warum andere Kinder abwertend von den PatientInnen sprachen, die damals, in den 70er und 80er Jahren, oft sehr viel länger im psychiatrischen Krankenhaus waren, als heute. Heute weiß ich, dass es eine Welt war, die Unbeteiligten fremd erschien.

Andere medizinische Erfahrungen

Um auch in der somatischen Medizin firm zu sein, habe ich zunächst in einer Klinik der Maximalversorgung meine Facharztzeit Neurologie absolviert, mit allem, was dazugehört. Auch wenn mir der Abschied aus der Neurologie schwerfiel, blieb ich meinem Ziel treu und wechselte in eine psychiatrische Universitätsklinik, um meinen Facharzttitel Psychiatrie und Psychotherapie zu erwerben. Dort hatte ich alle Möglichkeiten der Weiterentwicklung:

In die Psychiatrie

Ich war in jedem Bereich gern, zuerst – als angehende Neurologin – in der Gerontopsychiatrie, wo sich einige Krankheitsbilder (Demenzen, cerebral organische Erkrankungen) mit der Neurologie überschnitten, ich jedoch viel mehr Möglichkeiten hatte, den PatientInnen gerecht zu werden – natürlich nicht ich allein, sondern die Behandlung erfolgte multiprofessionell gemeinsam mit anderen TherapeutInnen, in enger Zusammenarbeit mit den Pflegeteams und unter Berücksichtigung der Biographie und der Lebensumstände der PatientInnen. Auf den weiteren Stationen blieb eins immer gleich: Die Behandlungen erfolgen individuell, werden den PatientInnen gerecht und es gibt Reflexionsräume, um eigenes Handeln und eigene Emotionen zu reflektieren.

Ich spürte auf jeder Station – Akutpsychiatrie, Sucht, in der Tagesklinik und auf der Spezialstation für emotional instabile Persönlichkeitsstörungen – einen Wissenzuwachs, mehr Sicherheit und immer die Freude an der Arbeit. In der Psychiatrie lernt man von jeder/m Patient/in/en, in jeder Situation und im Team. Die für den Facharzterwerb erforderlichen Bausteine wie Balintgruppe und Selbsterfahrung haben nicht nur meinen beruflichen, sondern auch meinen persönlichen Horizont erweitert.

Werdegang

Natürlich hatte ich auch andere berufliche Perspektiven als die Medizin und die Psychiatrie: mich haben Politik, Soziologie, Jura und Psychologie auch sehr interessiert. Vor dem Abitur war mir klar, dass ich Psychiaterin und Psychotherapeutin werden wollte und deswegen habe ich Medizin studiert. Im Studium, im PJ und in Famulaturen habe ich viele medizinische Fächer lieben gelernt. Es blieb aber dabei, dass mein Herz für die Psychiatrie schlug, weswegen ich schon im Studium Zusatzkurse absolvierte, Kongresse besuchte und dann im Bereich der Psychiatrie promovierte.

Zusatzqualifikationen und -fortbildungen

Ich hatte die Möglichkeit, eine sexualmedizinische Weiterbildung zusätzlich zum Facharzt zu absolvieren und mein damaliger Chef ermöglichte mir sogar das Projekt, eine Sexualambulanz zu gründen. Durch einen Oberarzt wurde ich an forensische Begutachtung herangeführt. Das entwickelte sich bei mir zu einem besonderen Interesse und ich wurde Oberärztin in einer Maßregelvollzugsklinik. Dort wurde ich mit sehr schweren Verläufen verschiedener Störungsbilder noch vertrauter. Mein damaliger Arbeitgeber bot mir spannende Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, so dass ich auch in diesem Gebiet stets dazulernte und die Schwerpunktbezeichnung erwerben konnte. Zudem bot er mir ein Studium im Bereich der Gesundheitsökonomie an. Das war ein Thema, von dem ich mich bis dahin zugegebenermaßen eher fern gehalten hatte – ich wollte behandeln, nicht rechnen. Ich war aber schon reflektiert genug geworden, zu wissen, dass ich diesen „blinden Fleck“ nicht unbearbeitet lassen wollte – so habe ich den Master in Health Business Administration auch geschafft – eine Perspektive, die mich im übergreifenden Denken bereichert hat.

Wissenschaftliche Erfahrungen

In der Uniklinik konnte ich an einigen Forschungsprojekten mitwirken – doch Forschung wurde nicht mein Schwerpunkt. Manchmal denke ich heute, dass ich vielleicht doch hätte habilitieren sollen und noch mehr wissenschaftliche Expertise hätte sammeln sollen. Aber insgesamt bin ich sehr glücklich mit meinem Werdegang.

Zurück in die Akutversorgung

Nach meiner Zeit in der Forensischen Psychiatrie zog es mich zurück „mitten ins Leben“, in die psychiatrische Akut-Krankenhausversorgung im Herzen des Ruhrgebiets. Heute kann ich sagen, dass ich für jeden Schritt des Weges dankbar bin und immer noch mit der gleichen Freude Psychiaterin und Psychotherapeutin bin. Jeder Tag bringt wertvolle Begegnungen, die mich dazu lernen lassen.

Frau Dr. Rudel: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorteile an einer Karriere in der Psychiatrie?

befasst sich mit dem „Sein“ – medizinisch – neurobiologisch, mit anspruchsvoller Pharmakologie – psychologisch und sozial
ist sehr eng nicht nur mit anderen medizinischen Bereichen, wie Neurologie, Geriatrie und Innerer Medizin verknüpft
regt zum ständigen Nachdenken, Reflektieren und Abwägen an
beinhaltet immer auch juristische Aspekte
sorgt zunehmend für eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen
ist immer auch gesellschaftlich und politisch
hat wirklich die PatientInnen ganzheitlich im Blick

Du willst noch mehr über das Fachgebiet Psychiatrie erfahren?

Für dieses Thema haben wir einen eigenen Ratgeber geschrieben. Wir haben dir hierfür auch eine eigene Sektion eingerichtet.

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